Maschinensturm

Der Kampf gegen die eisernen Arbeiter

Maschinensturm von Michael Spehr

Protest und Widerstand gegen technische Neuerungen am Anfang der Industrialisierung, Münster 2000, Westfälisches Dampfboot, 225 Seiten, 24,80 Euro

Die Industrielle Revolution und die Durchsetzung des technischen Fortschritts waren nicht nur eine triumphale Erfolgsgeschichte. Am Anfang des technischen Zeitalters wurden immer wieder neue Fabriken attaktiert. DasPhänomen dieses Maschinensturms in Deutschland wird hiererstmals umfassend dargestellt. Der Historiker Michael Spehr hat nach umfangreichen Recherchen hunderte solcher Proteste entdeckt. In der Erzählung einzelner Fälle entsteht das lebendige und faszinierende Bild einer bislang unbekannten Form des Widerstands gegen die Industrialisierung. Das Buch eröffnet aber auch neue Einblicke in die Sozial- und Kulturgeschichte dieser Zeit. Waren Maschinenstürmer von blindem Haß auf neue Technologien beseelt oder gar die ersten Vertreter einer sozialverträglichen Technikkontrolle? Die Studie setzt sich intensiv mit alten Klischees und neuen kulturgeschichtlichen Deutungen auseinander. Der Frankfurter Historiker widerlegt mit einer konsistenten und klaren Argumentation die bis heute populären Mythen des Maschinensturms.

Michael Spehr hat in einer brillanten Studie 186 Protestaktionen in den deutschen Staaten zwischen 1815 und 1849 erforscht.“ Volker Ullrich DIE ZEIT

Die Darstellung ist eine spannende Mischung „von anschaulicher Narration und analytischer, systematischer Erörterung.“ Hans-Ulrich Wehler

Thomas Welskopp: Rezension zu: Spehr, Michael: Maschinensturm. Protest und Widerstand gegen technische Neuerungen am Anfang der Industrialisierung. Münster 2000, in: H-Soz-Kult, 23.08.2001.

Heinrich Volkmann, Rezension zu: Spehr, Michael: Maschinensturm. Protest und Widerstand gegen technische Neuerungen am Anfang der Industrialisierung, Münster 2000, in: Archiv für Sozialgeschichte 2001

Eine journalistische Zusammenfassung der Studie:

Maschinensturm in Deutschland am Anfang der Industrialisierung / Keine Angst vor dem Fortschritt, sondern Sorge um den Arbeitsplatz / Von Michael Spehr

Es geschah am helllichten Tag. Mehr als hundert Mann versammelten sich, zogen zu der Fabrikhalle und sangen: „Seht ihr die alte Hütte an jenem Hügel stehn? / Da drinnen gibt’s Maschinen, die sich von selber drehn. / Die wollen wir nicht haben.“ Der Trupp verschaffte sich Äxte und Hämmer, drang mit Gewalt in das verhasste Gebäude ein, zerstörte dort „mit großem Hallo“ die Maschinen und warf die Trümmer aus den Fenstern. Nach dieser Aktion zog sich die Menge diszipliniert zurück. Diese Episode im thüringischen Ronneburg ereignete sich 1841. Wollweber und Zeugmacher attackierten mechanische Webstühle, die ein Unternehmer erst kurz zuvor angeschafft hatte. Es waren ganz neue, bis dahin unbekannte Geräte in dieser Region. Ebenso hatten 20 Jahre zuvor die Eupener Tuchscherer gegen die ersten Schermaschinen gekämpft. Ein zeitgenössischer Bericht schildert die Ereignisse: Mehrere hundert Menschen drangen mit Gewalt in die Fabrikhalle ein. Sodann „gelang es den Empörern, die neue, am vorigen Tag angekommene Schermaschine mit Gewalt aus der Behausung herauszureißen, sie gänzlich zu zerstören und in einen nahe vorbeifließenden Bach zu werfen.“

Diese gewaltsamen Zerstörungsaktionen am Anfang der Industrialisierung werden unter dem Begriff „Maschinensturm“ zusammengefasst. Aber was war diese merkwürdige Protestform am Beginn des Maschinenzeitalters, als die Dampfmaschine ihren Siegeszug antrat und die mechanisierte Massenproduktion herkömmliche Handarbeit verdrängte? Zunächst ist der Maschinensturm ein moderner Mythos der Geschichtsschreibung. Maschinenstürmer entluden in blinder Wut und orientierungslosen, spontanen Aktionen ihren unbändigen Hass auf die Maschine, in der sie die Ursache ihres Elends sahen, heißt es in vielen Geschichtsbüchern. Sie waren naive Fortschrittsfeinde, die sich neuer Technik entgegenstellten. Die Zerstörung von Webstühlen erscheint als primitives Aufbegehren gegen die Modernisierung, als Zeichen für verstockte Technikfeindschaft. Bis heute wird dieser Mythos immer wieder beschworen. Als die SPD im Bundestag dem umstrittenen Transrapid zustimmte, „hatten es die Genossen satt, ständig als Maschinenstürmer und Technikfeinde verspottet zu werden“, meinte ein Kommentator. Auch in anderer Blickrichtung hat die heutige Rede vom Maschinensturm eine bestimmte Funktion: Der technische Fortschritt stieß zwar in der Vergangenheit auf den Widerstand einiger Ewiggestriger, siegte aber schließlich – und wird auch künftig unaufhaltsam voranschreiten. Abergläubische Technikfeindschaft gab es schon immer in der Geschichte. Wer gegen aktuelle Techniken anrennt, wird – wie die Maschinenstürmer – schon bald zu den hilflosen Verlierern der Geschichte gehören.

Neuere Forschungen widerlegen dieses Bild. Der Angriff auf Maschinen oder Produktionstechniken war im ganzen 19. Jahrhundert eine sehr seltene Erscheinung. Es gab nur einige hundert Protestfälle, zudem keine spontanen Ereignisse. Sie waren vielmehr gut geplant und koordiniert. Der Anlass für einen Maschinensturm bestand fast immer in der Installierung der ersten Maschine ihrer Art in dem jeweiligen Protestort. Das gilt nicht nur für Eupen oder Ronneburg. Auch die Handweber im sächsischen Seifhennersdorf griffen 1842 zur Gewalt, als ein kleiner Fabrikant die über Jahre hinweg aus England ins Land geschmuggel­ten Webstühle zu­sammen­setzte und in Betrieb nahm. Dem typischen Maschinensturm musste eine Versammlung oder ­Absprache vorausgegangen sein, weil sich die Handwerker oder Arbeiter zu einer festen Zeit geschlossen und diszipliniert zusammenfanden. Von den Zeitgenossen wurde immer wieder das koordinierte Ver­halten der Männer ­­mit Verwunderung hervorgehoben. Meist ­drangen die Aufständi­schen mit so wenig Gewalt wie nötig in die Fabrikgebäude ein, suchten zielge­richtet die neuen Maschinen, zerstörten sie mit äußer­ster Sorgfalt und zogen dann geschlossen wieder ab. Dabei kam es so gut wie nie zum Diebstahl oder zu Plünderungen. Bezeichnend waren zum Beispiel die Ereignisse im preußischen Voerde 1847: Schmiede marschierten zu einer kleinen Werkstatt. Planmäßig zer­störten sie dort nur die mecha­ni­schen Pressen, warfen die Trümmer in einen Teich und zogen wieder ab. Die Posamentierergesellen im sächsischen Annaberg waren ein Jahr zuvor noch besonnener. Sie versammelten sich vor der Fabrik des Unterneh­mers Eisen­stuck, der im Verdacht stand, eine neue Drilliermaschine angeschafft zu haben. Dort forderten sie die Herausgabe der Maschine, um sie zu zer­stören. Der Maschinen­sturm blieb aber aus, weil Eisenstuck keine neuen Maschinen besaß. Als sich die rund 600 Gesellen davon überzeugt hatten, verließen sie friedlich den Platz. Der Weberaufstand von 1844 hingegen war kein Protest gegen die Maschinen. Wie die akribischen Forschungen der Historikerin Christina von Hodenberg zeigen, richtete er sich gegen unbeliebte, neureiche Fabrikanten, nicht aber gegen die Maschinen im schlesischen Eulengebirge: Als die Heimarbeiter eine laut zischende Dampfmaschine in einer Halle entdeckten, hielten sie in ihrer Zerstörungsaktion inne, musterten das technische Wunderwerk genau, „tippten sanft an diese und jene Schraube und riefen einander zu: Das ist doch sehr schön.“

Der Teilnehmerkreis des Maschinensturms bestand meistens aus einer Kerngruppe von 50 bis 400 Mann, die vor einer größeren Kulisse von Neugierigen und Sympathisanten agierte. Die Tat war für die Teilnehmer mit der Zerstörung der Maschinen beendet – es sei denn, Polizei oder Militär griff ein, das steigerte den Konflikt. So eskalierten mehrere Maschinenstürme in Böhmen 1844 zum Flächenaufstand. Mehr als 1000 Spinner vernichteten Spinn-, Krem­pel- und Schermaschinen in etlichen Betrie­ben. Als die bewaffnete Menge zur Stadt Reichenbach zog, ließ der Magistrat das Schützenkorps, die ­Finanz­wache und Zivilisten ans Gewehr treten. Man zog den Arbeitern entgegen und besetzte mit 94 Mann eine der zwei Brücken über die Neiße, welche die Aufständischen über­schrei­ten mussten, um in die Stadt zu gelan­gen. Als der Zug eintraf ließen die Arbeiter mitteilen, „sie wollten die Maschinen vernichten, weil diese sie brotlos machten, und dass sie nicht eher aufhören würden, bis sie die Maschinen zer­brochen hätten.“ Als die Schützen­garde den Weg weiterhin versperrte, kam es zur Schlacht bei Zwei­brücken, die bis in den späten Abend dauer­te. Erst „nach einigen Stunden der heftig­sten Balgerei“ gaben die Arbeiter „Fersen­geld“.

Auch die Kattundrucker in Prag und Böhmisch-Leipa zogen in einem spektakulären Aufmarsch im Sommer 1844 von einer Fabrik zur anderen und vernichteten alle Druckmaschinen für den Farbauftrag, derer sie habhaft werden konnten. Au­gen­zeugen beschrie­ben das Verhalten der Drucker aber als höflich und besonnen, ihr Betragen gar als „musterhaft“. Eiserne Disziplin herrschte, zumal es ihnen nur um die Ausschaltung der Druckmaschinen ging: „In keiner Fabrik fand eine Demolie­rung der Gebäude, Diebstahl an den Waren­vorräten oder Misshandlungen statt.“ Man sah hier „prächtige junge Bur­schen“ am Werk, die „in fast militärischer Ordnung“ über das Land zogen. Sie behandelten selbst das gegen sie gerichtete Militär „mit aller Achtung“, und „wo sie an Oberoffizieren vorüber kamen, zogen sie, wie auf ein Kom­mando­wort, ihre Mützen, um ihnen, wie sie sagten, zu zeigen, dass sie nieman­den beleidigen wollten, sondern bloß um ihre Existenz kämpften.“ Die böhmische Maschinensturmbewegung glich in ihrer Erscheinungsform den englischen Ludditen, ­die in massenhaf­ten Angriffen auf kleine und große Fabriken zahlreiche Ma­schinen zerstörten und Fabriken in Brand setzten.

Die deutschen Maschinenstürmer waren etwas friedlicher. Ihre Ziele und Motive speisten sich stets aus der Angst vor Arbeitslosigkeit. Die Eupener Tuchscherer erklärten, dass „die Furcht, teilwei­se brotlos zu werden, oder sich mit einem noch geringeren Ar­beitslohn künftig begnü­gen zu müssen“ ihren Entschluss zur „Zertrümmerung“ der Maschine herbeigeführt habe. Auch die Ronneburger Weber kämpften für herkömmliche Handarbeit: Gehen jetzt die ersten vier Webmaschinen, sagten sie, „so folgen in kürzester Zeit eine Unzahl nach, und wir alle sind dann brotlos. Wird auch nichts Gescheites darauf fertig, so wird es doch wohlfeil. Das ganze Wollweber­geschäft geht dadurch zugrunde.“

Die Sorge um den Erhalt herkömmlicher Handarbeit war demnach das Hauptmotiv. So ist der moderne Mythos falsch, wonach die Maschinenstürmer des 19. Jahrhunderts gegen die freie, ungezügelte Marktwirtschaft gekämpft oder die Industrialisierung hätten aufhalten wollen. Die damals Lebenden kannten den Begriff der Industriellen Revolution noch nicht. Bestenfalls sprachen die Zeitgenossen von der „fortschreitenden Industrie“ oder dem „Aufschwung des Maschinenwesens“. Die Verflechtung zwischen der entfesselten freien Marktwirtschaft, der Technisierung und Mechanisierung sowie der damit verbundenen gesellschaftlichen Umwälzung war ihnen nicht bekannt. Maschinenstürmer kämpften vielmehr gegen die ersten, neuen Maschinen in der Region. In diesem Sinne war der historische Maschinensturm des 19. Jahrhunderts die Wiederherstellung eines vermeintlichen guten alten Rechts auf Brot und Nahrung. So hieß es in dem Verhörprotokoll der Eupener Tuchscherer: „Nach den geschehenen Äußerungen glauben die Tumultuanten sogar durch eigenmächti­ge Zertrümme­rung der Schermaschinen kein großes Unrecht getan zu haben, da sie außer­dem keine Exzesse begangen hätten und auch bei dem Herausholen der Kisten aus dem Hause des Fabrikanten nicht das Minde­ste weiter entwen­det worden sei.“

Wie sehr die Männer von ihrer Sache überzeugt waren, zeigt nicht zuletzt der Zeitpunkt ihrer Aktio­nen. Alle Angriffe erfolgten keineswegs heimlich, wie bei den nachts operierenden Ludditen in England, sondern tagsüber in aller Öffent­lich­keit und damit unter Bedingungen, die eine leichte Identifizierung und Ver­haf­tung der Protestierenden gestatteten. Das leitet zu der Frage nach den Folgen dieser Aktionen über. Bei Ausbruch der Proteste war vor allem in den kleineren Städten nur wenig Polizei vorhanden, die sich den Aufständi­schen entgegenstellen konnte: „Die disponible Polizeimannschaft war zu schwach, um dem rohen, von Zerstörungslust beseelten und mit schweren Steinen und anderen Werkzeugen bewaffneten Haufen in seinem Beginnen Einhalt zu tun“, hieß es in einem amtlichen Untersuchungsbericht. Deshalb rückte häufig das Militär ein, und die Gemeinden begannen mit dem Aufbau einer Bürgerwehr.

So endeten die meisten Maschinenstürme mit der Verhaftung und Verurteilung der sogenannten Rädelsführer. Im Februar 1822 verurteilte ein Aachener Geschworenengericht vier Tuchscherer zwischen 20 und 30 Jahren und eine 20jährige Fabrikarbeiterin aus Eupen „wegen Zerstörung einer Schermaschine mittelst Zusammenrottierung und mit offener Gewalt“ zu einer fünfjährigen Zuchthausstrafe. Ein weiterer Tuchscherer erhielt fünf Jahre Zwangsarbeit. Das Gericht sprach aber elf weitere Angeklagte frei. Die Eupener Tuchscherer waren wie alle anderen Maschinenstürmer weder hilflose Verlierer der Geschichte noch Fortschrittsfeinde, sondern Menschen, die für Arbeit und Brot kämpften. Die Berliner Kattundrucker, die fast drei Jahrzehnte gegen die mechanischen Druckmaschinen protestiert hatten, brachten diesen Sachverhalt im Jahr 1849 schlicht und einleuchtend auf den Punkt: „Wir haben Ruhe und Ordnung gehabt lange Jahre, und haben ge­arbeitet wie die Maschinen. Aber die Maschinen, die kein Brot essen und des Nachts nicht schlafen, haben noch mehr gearbeitet, und wir wurden überflüssig und brotlos. Wir haben gebeten und gebettelt lange Jahre und haben keine Hilfe gefunden für unsere Not und Arbeits­losig­keit. Wir fordern, dass die eisernen Arbeiter, die nicht essen und nicht schlafen, die Maschi­nen, erst dann arbeiten dürfen, wenn die Arbeiter alle beschäf­tigt sind, die Brot essen, Weib und Kinder ernäh­ren müssen und die dem König ihre Steuern zahlen.“